Wem gehört die Musik?

Mit der Novellierung des Urheberrechts droht die Teilenteignung der Künstler

Unser Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung.

„Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen“, so lautet eine alte Redensart, die schon längst Allgemeingut ist und in nahezu allen Lebensbereichen Anwendung findet. Ausgerechnet für die Musik selbst, soll diese schlichte Wahrheit künftig nicht mehr uneingeschränkt gelten, wenn es nach dem Willen von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht geht.

Sie plant einen schweren Eingriff in das Urheberrecht, also in das Recht, über die eigenen schöpferischen Leistungen wie zum Beispiel Musik, Filme oder Kunstwerke zu verfügen.  Die Anpassung des deutschen Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts ist eine Vorgabe aus Brüssel, an der sich die Fachleute und solche, die sich dafür halten, schon seit geraumer Zeit abarbeiten. Dabei geht der deutsche Gesetzgeber im Alleingang zu Lasten der Rechteinhaber weit über die europäischen Vorgaben hinaus, was erhebliche Wettbewerbsnachteile für hiesige Künstler mit sich bringt.

Die EU-Richtlinie zur Anpassung des Urheberrechts zielt eigentlich darauf ab, die digitalen Plattformen in die Pflicht zu nehmen und ihnen aufzuerlegen, für eine transparente und korrekte Abrechnung der kreativen Leistungen Sorge zu tragen. Das Gegenteil wird künftig der Fall sein. Butterweiche Formulierungen im deutschen Gesetzestext  führen letztendlich zu einer Umkehr der Lizenzpflicht. Google, YouTube,  Facebook & Co. sind zwar gehalten, sich um die Klärung der Lizenzrechte zu bemühen, dazu verpflichtet sind sie nicht. Im Zweifel muss also der Künstler seine Tantiemen aktiv eintreiben – irgendwo auf der Welt im Dickicht verschachtelter Konzernstrukturen.

Zudem sollen 15 Sekunden jedweder Musik unentgeltlich nutzbar sein. Das Thema ist für Laien ziemlich sperrig und schlägt deshalb  trotz seiner Brisanz keine hohen Wellen. Die meisten Menschen sind der Ansicht, dass dieses Spezialgebiet sie nicht betrifft, was aber nicht richtig ist, denn es geht um das Eigentumsrecht insgesamt und die Frage: „Gehört mir das, was ich mit meinem Kopf und meinen Händen erschaffe?“

„Na klar“, sagt der gesunde Menschenverstand. „Wenn ich einen Apfelbaum pflanze, gehören mir die Äpfel.“  Sollten sich Passanten selbstständig an den Früchten bedienen, liegt sogar strafrechtlich ein Diebstahl vor, auch dann wenn es sich um ein geringwertiges Gut handelt.

Die „Äpfel“ der Musiker sind Songs. Über deren gesamte oder auszugsweise Nutzung zu entscheiden, oblag bislang den Künstlern selbst. Wenn zum Beispiel eine kleine Sequenz aus einem bekannten Song für Werbezwecke verwendet wurde, so geschah das mit Zustimmung des Urhebers und selbstverständlich gegen Entgelt.

Im Internet soll das nach dem Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums nun anders werden: 15 Sekunden eines Songs sollen von jedem Nutzer, der Clips produziert, für jeden Zweck und in jeden Kontext kostenfrei verwendet und sogar bearbeitet, also verändert, werden dürfen.  Was unter dem schön klingenden Begriff der Demokratisierung des Internets vorbereitet wird, ist die Teilenteignung einer Berufsgruppe, die es in keinem anderen EU-Land gibt.

Die Annahme, dass die Influencer und Youtuber keine gewerblichen Interessen verfolgen, ist geradezu naiv. Mit ihren Clips generieren sie persönliche Reichweite, die sie dann wiederum durch Werbung und Product Placement monetarisieren. Manche Internet-Stars verdient weitaus mehr als die Künstler, deren Songs sie für ihre Zwecke ungefragt nutzen.

„15 Sekunden sind im Vergleich zum gesamten Song doch nur eine Bagatelle“, heißt es von Seiten der deutschen Politik in herablassender Ignoranz.  15 Sekunden sind lang genug, um das Signé, den Wiedererkennungswert eines Songs, zu nutzen. Einige Parteien haben es vorgemacht, als sie in Wahlkämpfen einen Hit der Toten Hosen zur Emotionalisierung nutzten und die signifikanteste Zeile des Refrains wie eine Fanfare einsetzten: „An Tagen wie diesen  wünscht man sich Unendlichkeit.“ Dauer: 8 Sekunden.

Doch es geht nicht vordergründig um Geld, sondern vor allem um den drohenden Verlust der Kontrolle über das eigene Werk.  Nach dem Ansinnen der Politik müssten die Künstler sogar hinnehmen, dass 15 Sekunden eines Songs für geschmacklose Parodien, die Verbreitung fragwürdiger Inhalte und schlimmstenfalls für weltanschauliche oder religiöse Ziele genutzt werden, die diametral zu den eigenen Auffassungen stehen. Nur wenn Aufrufe zur Gewalt, kriminelle, demokratie- oder grundgesetzfeindliche Inhalte mit Auszügen aus Songs als Werbeträger verbreitet würden,  könnten die Künstler das unterbinden. Wie soll das in der Praxis aussehen? Soll jeder Künstler ständig das Netz nach solchen Fällen absuchen und dann gegen jeden Missbrauch gesondert vorgehen?

Viele Künstler laufen seit langem gegen das Gesetzesvorhaben des Bundesjustizministeriums Sturm. Bisher ohne  Erfolg. Sämtliche Expertenanhörungen fanden ohne einen einzigen Urheber statt. Es wird, wie wir es aus der Corona-Pandemie bereits  kennen, an den betroffenen Berufsgruppen vorbei regiert. Davon können Gastronomen und Hoteliers ein Lied singen, wir Künstler sowieso. Nachdem die Künstler schon zu den großen Verlierern in der Pandemie gehören und dem Kultursterben weitgehend tatenlos zugeschaut wird, geht der Gesetzgeber nun sogar noch weiter und tastet die Substanz der Künstler an, das Recht am eigenen Werk. Dass die Bundejustizministerin am vergangenen Freitag in ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag davon sprach, das Gesetz werde „die Position der Kreativen und der Kreativwirtschaft stärken“, klingt somit wie blanker Hohn.

Gott sei Dank – und das hat unser angekratztes Vertrauen in die Politik ein wenig wieder hergestellt, rügt der Bundesrat in einer eindeutigen und präzisen 20-seitigen Stellungnahme den Entwurf der Bundesregierung zur Abänderung des Urhebergesetzes in mehreren Punkten. Dort heißt es unter anderem: „Die quantitative Definition dieser neuen Bagatellgrenze ist nicht nachvollziehbar. Für diese gibt es in der DSM-Richtlinie (EU-Richtlinie über das Urheberrecht) keine Anhaltspunkte. Sie wird zudem der Mannigfaltigkeit geistigen Eigentums nicht gerecht. …. Der Bundesrat bittet mit Blick auf einen funktionierenden digitalen Binnenmarkt von weitreichenden nationalen Alleingängen abzusehen.“

Die Corona-Pandemie hat viele Künstler an den Rand ihrer Existenz gebracht. Eine weitere Demontage, die ausgerechnet durch die Politik initiiert ist, ist nicht akzeptabel. Es bleibt zu hoffen, dass durch die Rüge des Bundesrates das Ruder herumgerissen und sicher gestellt wird, dass die Künstler fair und transparent an allen Erlösen aus der Verwertung ihrer Titel beteiligt werden.

 

 

 

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